Es gibt diese Tage, da ist einfach alles zu viel. Ich wach schon auf und merke, mein Körper fühlt sich schwer an, meine Gedanken sind wirr, und obwohl noch nichts wirklich passiert ist, spür ich diese innere Anspannung. Wie eine Wand, die sich vor mir aufbaut, obwohl ich doch einfach nur meinen ganz normalen Alltag vor mir habe. Aber wenn man ehrlich ist – was ist schon „normal“ geworden? Ich meine, ich steh morgens auf, mache Frühstück, suche Schulranzen, schmiere Brote, räum Geschirr weg, pack Wäsche in die Maschine, hab im Kopf schon die Einkaufsliste, die Geburtstagskarte, die Antwort auf die Mail vom Lehrer, und gleichzeitig will ich nur kurz atmen. Aber selbst das fühlt sich manchmal an wie ein zusätzlicher Termin.
Früher hab ich gedacht, ich muss das einfach alles besser organisieren. Weniger Chaos, mehr Struktur, To-do-Listen, Wecker, Timer, Mealprep, Digital Detox – ich hab alles ausprobiert. Und ja, manches hat auch funktioniert. Kurz. Aber dann kam wieder so ein Tag, wo alles kippt. Wo die Kinder streiten, das Internet ausfällt, jemand krank wird, das Mittagessen anbrennt, der Paketbote dreimal klingelt, und ich einfach da stehe mit dem Gefühl: Ich will einfach kurz verschwinden. Nur für eine Stunde. Nur für zehn Minuten. Irgendwohin, wo mich keiner braucht. Wo ich nicht reagieren, nicht entscheiden, nicht denken muss.
Ich weiß nicht mehr genau, wann es angefangen hat, aber irgendwann hab ich gemerkt, dass ich mir kleine Rituale schaffe. Nicht geplant, nicht aus irgendeinem Buch – sie sind einfach passiert. Weil ich sie gebraucht hab. Weil mein Körper und mein Kopf nach etwas gesucht haben, das mich kurz wieder mit mir selbst verbindet. Und so banal sie auch sind – sie helfen mir. Vielleicht nicht immer sofort. Aber sie geben mir einen Moment. Und dieser Moment reicht manchmal schon, um nicht komplett im Chaos zu versinken.
Das Erste ist mein Kaffee. Ich weiß, klingt klischeehaft, aber es ist nicht einfach „nur Kaffee“. Es ist dieses eine Fenster am Morgen, wo ich nicht funktioniere, sondern einfach nur da bin. Ich steh früher auf, obwohl ich müde bin, nur um diese zehn Minuten für mich zu haben. Ich sitz am Küchentisch, mach mir die große Tasse, meistens schwarz, manchmal mit Hafermilch, und ich schau einfach aus dem Fenster. Ohne Handy, ohne Radio, ohne jemand anderen. Ich schau den Vögeln zu oder dem Regen oder einfach dem Müllauto. Es ist egal. Wichtig ist nur, dass niemand was von mir will in diesem Moment. Es ist ein stilles Versprechen an mich selbst: Der Tag gehört zwar nicht nur mir, aber dieser eine Moment am Anfang – der schon. Und das gibt mir so eine Art leisen Halt. Nicht weil der Kaffee so gut ist, sondern weil ich mich darin wiederfinde.
Das zweite ist mein Bad. Nicht das schnelle Duschen zwischen zwei Terminen. Ich meine diesen Moment am Abend, wenn das Haus langsam still wird, die Kinder schlafen oder zumindest in ihren Zimmern sind, und ich mich im Badezimmer einschließe – nicht aus Pflicht, sondern aus Selbstschutz. Ich zünde oft eine kleine Kerze an. Keine teure Duftkerze – manchmal einfach ein Teelicht. Ich mach das Licht nicht ganz aus, aber gedimmt. Und dann wasch ich mir in Ruhe das Gesicht. Langsam. Nicht, weil ich so ein Beauty-Ritual mache – sondern weil es mir hilft, den Tag abzuwaschen. Ich massiere mein Gesicht mit dem Reinigungsgel, nicht weil es auf der Verpackung steht, sondern weil es sich gut anfühlt. Ich schau mich im Spiegel an, oft müde, manchmal traurig, manchmal auch mit einem kleinen Lächeln. Und ich sag mir selbst: Du hast’s heute geschafft. Vielleicht nicht perfekt. Aber du hast’s geschafft. Manchmal tupf ich mir einfach nur warmes Wasser ins Gesicht und atme tief durch. Und dann creme ich mich ein, langsam, liebevoll, nicht automatisch. Ich hab gemerkt, wie sehr mir diese sanfte Geste hilft, mich selbst nicht zu verlieren zwischen all den Anforderungen. Es ist kein Wellness, kein Luxus – es ist ein bisschen Würde.
Das dritte Ritual ist eigentlich das einfachste: ich zieh mir meine dicken Socken an und lauf barfuß durch die Wohnung. Klingt verrückt, aber es bringt mich runter. Es ist wie ein Zurück-in-den-Körper-Kommen. Ich laufe langsam, ich spüre den Boden, ich schalte die Lichter aus, schau noch mal in jedes Zimmer, ordne eine Decke, stelle einen Stuhl zurück, decke das Frühstück für den nächsten Morgen vor. Aber nicht aus Zwang – sondern als kleine Geste an mich selbst. Ich schaffe mir damit eine Ordnung, die nichts mit Perfektion zu tun hat, sondern mit innerem Frieden. Und das hilft mir wirklich. Ich weiß dann: Jetzt darf ich runterfahren. Jetzt ist Schluss. Und ich setze mich manchmal noch kurz auf die Couch, ohne Fernseher, ohne Handy, und trinke ein Glas Wasser. Nur ich und die Stille.
Ich hab lange gedacht, Rituale müssen kompliziert sein. Müssen aus irgendwelchen Büchern stammen oder spirituell aufgeladen sein. Aber am Ende geht’s nur darum, sich selbst nicht zu verlieren. Im Alltag, im Tempo, in der Lautstärke. Diese kleinen Dinge – der Kaffee, das Gesichtwaschen, die Schritte in der Wohnung – sie erinnern mich daran, dass ich noch da bin. Dass ich fühlen darf. Müde sein darf. Zeit für mich brauche. Und dass es okay ist, wenn nicht alles perfekt läuft.
Und es ist nicht so, dass diese Rituale alles heilen. Ich hab immer noch Tage, wo ich durchdrehe, weine, schreie oder einfach nur unter der Decke verschwinde. Aber sie helfen mir, wieder rauszukommen. Sie sind wie kleine Anker. Nicht sichtbar, nicht groß, aber stabil. Und sie gehören mir. Niemand kann sie mir nehmen. Kein Termin, kein Kindergeschrei, kein Problem. Und das macht sie so wertvoll.
Ich wünsche mir manchmal, dass wir Frauen mehr darüber sprechen. Nicht nur über unsere Erfolge, sondern über unsere Erschöpfung. Nicht nur über Rezepte und Schminktipps, sondern über die Leere, die manchmal kommt. Und wie wir damit umgehen. Ich erzähle das nicht, weil ich Antworten habe – sondern weil ich glaube, dass wir gemeinsam mehr tragen können. Wenn wir ehrlich sind. Wenn wir sagen: Ja, auch ich bin oft überfordert. Auch ich bin müde. Aber ich suche Wege. Kleine, stille Wege. Und manchmal reichen drei davon, um durch einen Sturm zu kommen.